file:current:title

„Tödliche Unfälle“ in der Stadthalle

Bei dem Projekt „Abgefahren“ haben am Mittwochvormittag rund 600 Schüler eine drastische Veranstaltung besucht, die vor Übermut und Leichtsinn im Straßenverkehr warnt.

So still waren die rund 600 Schüler der elften Jahrgänge der Berufsbildenden Schulen (BBS) Papenburg, des staatlichen Gymnasiums Papenburg und des Hümmling-Gymnasiums in der Stadthalle sicherlich selten. Rund zwei Stunden waren sie Besucher des Projektes „Abgefahren – wie krass ist das denn“ und hörten insgesamt sechs Schilderungen von Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern über tödliche Unfälle, bei denen sie selbst im Einsatz waren. Gleich zu Beginn der Veranstaltung um kurz nach 10 Uhr am Mittwochvormittag wurde es mucksmäuschenstill, als Thomas Memering, Leiter des Polizeikommissariats Papenburg, ans Rednerpult ging, das auf der linken Seite der Bühne aufgebaut war. Rechts stand ein Unfallwrack, ein aufgerissener Audi A3. „Der Fahrer dieses Wagens war im Dezember auf der Autobahn mit überhöhter Geschwindigkeit in ein Stauende gejagt. Der junge Mann hinterlässt eine Frau und ein kleines Kind. So sieht das dann aus“, sagte Memering. 

Dann trat Hermann Kronner ans Rednerpult. Der Polizist aus Surwold machte einen gefassten Eindruck und sagte, dass er in seinen mehr als 30 Dienstjahren schon einiges erlebt habe. Mit ruhiger, sonorer Stimme berichtete er dann von einem Verkehrsunfall mit zwei Toten im Alter von 15 und 18 Jahren. Im Jahr 2011 waren sie ohne Führerschein mit einem Auto in der Nacht zum Ostersonntag auf gerader Strecke von der Fahrbahn abgekommen. Der Wagen war an einem Baum zerschellt. Kronner war als freiwilliger Feuerwehrmann einer der ersten an der Unfallstelle und musste die zum Teil zerfetzten Körper aus dem Kanal bergen und kannte die beiden Jugendlichen. „Ich habe solche Dinge schon oft genug gesehen und möchte nicht irgendwann einmal einen von Euch tot nach einem Verkehrsunfall bergen müssen“, sagte Kronner. Und seine Worte treffen. Während seiner detaillierten Schilderung verlassen zwei junge Mädchen den Saal. Für sie ist es zu viel. 

Schon zur Begrüßung hatte Thomas Memering gewarnt: „Sie werden teils drastische Dinge hören. Wer sich nicht gut fühlt, kann natürlich jederzeit rausgehen. Es soll dann bitte ein Begleitperson mitgehen.“ Von dieser Möglichkeit machen im Verlauf von „Abgefahren – wie krass ist das denn“ noch viele Schüler Gebrauch. Sehr authentisch und in der Tat krass erzählten die Einsatzkräfte, was ein tödlicher Unfall mit ihnen macht und wie Eltern und Freunde darunter leiden. So hatte sich die Mutter des 15-jährigen Unfalltoten ein paar Monate nach dem Unfall selbst das Leben genommen, berichtete Kronner -  Schockstarre im Saal. 

Nachdem der Polizeibeamte nach rund 20 Minuten seine Geschichte erzählt hatte, trat er langsam auf die Mitte der Bühne und entzündete zwei Kerzen für die beiden Todesopfer des Unfalls am Ostersonntag 2011. Noch fünf weitere Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrleute werden das gleiche am Ende ihrer Schilderungen tun. Zum Schluss, nach sechs erschütternden Unfällen, brennen zehn Kerzen sichtbar in der Mitte auf der Bühne. Die 600 Jugendlichen im Saal sahen mitgenommen aus. Einige schluckten, manche hatten Tränen in den Augen. Auch an den Vortragenden gingen die Geschichten nicht spurlos vorbei. So wie Hermann Kronner machten sie betretende Gesichter, mussten sich selbst das Schluchzen an manchen Stellen verkneifen.

Nach zwei Stunden gab es keinen Applaus, niemand sprach ein Wort. Die Schüler verließen bedrückt und nachdenklich die Stadthalle. „Genau das wollten wir erreichen“, sagte Thomas Memering. Das Projekt gibt es bereits seit mehreren Jahren und die Intention dabei ist jedes Mal gleich. „Wir wollen betroffen machen. Wir wollen, dass die Jugendlichen, wenn sie Auto fahren oder im Verkehr unterwegs sind, an diese Veranstaltung denken. Gerade wenn sie sich übermütig fühlen oder leichtsinnig sind, sollen sie daran denken, dass genau das bei diesen Verkehrsunfällen zum Tod von zehn Menschen geführt hat.“ Allerdings würden die Schüler mit diesen Eindrücken nach der Veranstaltung nicht alleine gelassen, so Memering weiter. „Die Geschehnisse werden gemeinsam mit den Lehrern auch vor- und nachbereitet. Sonst könnten wir so ein Projekt gar nicht machen.“